25. April 2025
25. April 2025
22:35

Alles Schinken

Korsika – granitgraue Bergspitzen, duftende Macchia, tiefblaues Mittelmeer. Doch wer die Insel wirklich verstehen will, muss kosten, was hier seit Jahrhunderten reift: Schinken. Die Tiere, halbwilde Schweine der Rasse Nustrale, streifen durch Kastanien‑ und Eichenwälder, fressen Fallobst, Kräuter, Wurzeln. Ihr Fleisch erhält dabei jene nussig‑würzige Grundnote, die jeden echten „Charcuterie Corse“ unverwechselbar macht. Fünf Schinkensorten stechen besonders hervor – jede mit eigener Persönlichkeit, Textur und Aromatik. Ein sensorischer Rundgang weckt Lust, Messer und Schneidebrett griffbereit zu halten.

Prisuttu – der König der Insel
Prisuttu ist das korsische Pendant zum spanischen Jamón Ibérico oder zum italienischen Prosciutto di Parma, aber mit ganz eigener Handschrift. Die Keulen reifen mindestens zwölf, oft achtzehn Monate in kühlen Bergkellern, durchzogen von trockenen Winden, die Thymian, Wacholder und Meeressalz herantragen. Die Schwarte schützt das Fleisch, während sich das intramuskuläre Fett langsam verflüssigt und wie Butter in jede Faser sickert. Ergebnis: Ein duftig‑süßer Schmelz, gefolgt von Aromen von getoasteten Haselnüssen, wilden Kräutern und einer Spur Kastanie. Dünn aufgeschnitten, schmilzt er auf der Zunge; kombiniert man ihn mit einem Glas Sciaccarellu‑Rosé, entfaltet sich ein vollendetes Korsika‑Gefühl.

Coppa di Corsica – Marmoriertes Kraftpaket
Hinter dem Namen Coppa verbirgt sich der geäderte Nackenmuskel, der nach dem Salzen eng in Naturdärme gepresst, mit grob gemahlenem Pfeffer, Myrte und manchmal Fenchel ummantelt wird. Vier bis sechs Monate reift er – kürzer als der Prisuttu –, wodurch eine fleischigere Bissfestigkeit erhalten bleibt. Optisch leuchten weiße Fettadern in rubinrotem Muskelgewebe, geschmacklich erlebt man einen temperamentvollen Start aus Pfeffer und Rauch, der in eine süße, fast karamellige Tiefe übergeht. Coppa lässt sich wunderbar etwas dicker schneiden, leicht anwärmen und über geröstetem Landbrot mit Feigenkompott servieren. Ein kräftiger Rotwein aus Niellucciu‑Trauben hebt die Würze zusätzlich hervor.

Lonzu – die elegante Note
Lonzu entsteht aus dem Rückenlendenstück, also fast gänzlich magerem Fleisch, das nach kurzem Salzen in Wein und Gewürzen gebadet wird. Anschließend folgt eine dreimonatige Trocknungsphase in Höhenlagen. Das Resultat ist ein rosa, zart faseriger Schinken mit feinem Kräuterduft und einer unerwartet seidigen Textur, obwohl kaum Fett vorhanden ist. Wer seine Schlemmerei leichter gestalten will, greift zu Lonzu: in dünne Späne gehobelt und zusammen mit jungen Ziegenkäse‑Scheiben, Heidelbeeren und einem Spritzer Olivenöl von der Balagne serviert. Ein prickelnder Vermentinu bringt die Frische perfekt ins Gleichgewicht.

Figatellu – rustikale Seele
Streng genommen eine Rohwurst, dennoch unverzichtbar im korsischen Schinken‑Universum. Drei Teile mageres Schweinefleisch treffen auf einen Teil Leber, gewürzt mit Knoblauch, Rotwein und Kräutern, dann kurz geräuchert über Kastanienholz. Figatellu ist weich, fast streichfähig, wenn sie frisch ist, und entwickelt beim Grillen eine karamellisierte Kruste, während die Leberkernigkeit zurücktritt. Am Winterfeuer gegart, anschließend mit cremiger Polenta aus Kastanienmehl und einem Klecks Senf serviert, schmeckt Figatellu nach bäuerlicher Geborgenheit und rauchiger Wildheit – wahrlich Korsika pur.

Salamu & Pancetta – knusprige Vielfalt
Salamu, eine lang gereifte Edelsalami, zeigt Körner von schwarzem Pfeffer, die beim Kauen aufplatzen und ihre ätherischen Öle freigeben. Zwölf Wochen Trocknung sorgen für einen angenehm festen Biss. Pancetta dagegen ist gerollter Schweinebauch, leicht geräuchert, von Rosmarin und Lorbeer umhüllt. In hauchdünnen Spiralen geschnitten, zergeht sie fast wie kandierter Speck, wobei süße und salzige Noten um die Wette tanzen. Würfelig ausgelassen, krönt Pancetta eine korsische „Minestra“ – eine dicke Gemüsesuppe –, verleiht ihr Tiefe und ein unwiderstehliches Aroma von offenem Feuer und Macchia.

Genussrituale
Korsischer Schinken liebt Zimmertemperatur. Schon fünfzehn Minuten vor dem Servieren beginnt das Fett zu glänzen, ein Versprechen auf seidenweichen Schmelz. Das Messer sollte lang und dünn sein, Schnitte werden stets quer zur Faser geführt. Ein Brotkorb mit knusprigem, leicht säuerlichem Levain, eingelegte grüne Myrte‑Oliven und ein Glas Inselwein genügen, um die Welt kurz anzuhalten. Wer experimentieren will, kombiniert die salzige Tiefe des Prisuttu mit süßem Kastanienhonig, die Pfefferschärfe der Coppa mit gegrillter Aprikose oder den Kräutercharme des Lonzu mit jungem Schafmilchkäse.

Ob königlicher Prisuttu oder bodenständige Figatellu – jede korsische Schinkensorte erzählt ein Kapitel Inselgeschichte, geschrieben mit Kastanienlaub, Bergwind und mediterraner Sonne. Wer ein kleines Stück davon kostet, schmeckt nicht nur exzellentes Fleischhandwerk, sondern auch die wilde, duftende Landschaft, in der es entstanden ist. Und spätestens dann steigt unbändige Lust auf, den nächsten Flug nach Bastia zu buchen, um vor Ort weiterzuschlemmen.