Die Buchstaben FLNC stehen für „Front de Libération Nationale Corse“ (auf Deutsch: Nationale Befreiungsfront Korsikas). Die Gruppe entstand 1976 auf der französischen Mittelmeerinsel Korsika und kämpfte mit Gewalt für mehr Selbstbestimmung oder Unabhängigkeit von Frankreich [1].
Warum entstand der FLNC?
Viele Korsinnen und Korsen fühlten sich in den 1960er- und 1970er-Jahren wirtschaftlich benachteiligt. Zugleich hatten sie Angst, dass ihre Sprache (Korsisch) und ihre Kultur verschwinden könnten. Aus dieser Stimmung heraus schlossen sich mehrere kleine Untergrundgruppen zusammen. Am 5. Mai 1976 erklärten sie in einem nächtlichen Kommuniqué ihre Gründung als FLNC und bekannten sich gleichzeitig zu 22 Sprengstoffanschlägen auf Verwaltungsgebäude [2].
Ziele der Bewegung
Die wichtigsten Forderungen waren:
• politische Autonomie oder sogar völlige Unabhängigkeit,
• offizieller Schutz der korsischen Sprache,
• Landreform, damit Großgrundbesitz an Einheimische zurückgegeben wird,
• Abzug „kolonialer“ französischer Sicherheitskräfte.
Diese Ziele wurden meist in Flugblättern oder Tonbandbotschaften veröffentlicht. Die Sprache war kämpferisch, aber selten marxistisch; sie bezog sich mehr auf nationale Identität [3].
Formen des bewaffneten Kampfes
Zwischen 1976 und Anfang der 2000er-Jahre verübte der FLNC nach Schätzungen des französischen Innenministeriums über 4 500 Anschläge [4]. Die meisten richteten sich gegen leerstehende Ferienhäuser, Banken oder staatliche Einrichtungen. Personenschäden blieben selten, doch es gab einzelne Tote, etwa 1998 bei einem Anschlag in Ajaccio. Außerdem erpresste die Gruppe „Revolutionssteuern“ von Bau- und Tourismusfirmen. Die französischen Behörden stufen den FLNC deshalb seit 1983 als terroristische Vereinigung ein [5].
Wichtige Etappen
• 1975: Vorläuferereignis „Affaire d’Aléria“. Bauern besetzen ein Weingut; zwei Gendarmen sterben. Das Ereignis radicalisiert die Insellage [6].
• 1980er: Hochphase der Anschläge, über 200 Bomben pro Jahr. Paris verstärkt die Spezialeinheit GIGN auf Korsika.
• 1996: „Nuit bleue“ – in einer einzigen Nacht detonieren rund 40 Sprengsätze.
• 2001: Beginn von Verhandlungen; Teil-Waffenruhe, doch keine endgültige Lösung.
• 2003: Spaltung in FLNC „Canal historique“ und „22 Octobre“. Die Fraktionen streiten sogar untereinander.
• 2014: Der FLNC erklärt ein „permanentes, einseitiges Ende des bewaffneten Kampfes“ [7].
• 2016: Erklärung, alle Waffen bis 2017 „außer Dienst“ zu stellen. Internationale Beobachter bestätigen die ersten Übergaben.
• 2022: Nach der Gefängnis-Tötung des Nationalisten Yvan Colonna droht ein FLNC-Kern erneut mit Gewalt, setzt sie aber nicht systematisch um [8].
Politische Parallelorganisationen
Der FLNC hatte immer eine politische „Schwesterpartei“. In den 1980er-Jahren war dies die „UPC“ (Union du Peuple Corse), später „Corsica Nazione“. Heute sitzen Nachfolgeparteien wie „Femu a Corsica“ oder „Core in Fronte“ in der Regionalversammlung, distanzieren sich jedoch offiziell von Gewalt [9].
Reaktionen des französischen Staates
Frankreich reagierte mit Anti-Terror-Gesetzen, Hausdurchsuchungen und Sammelverfahren in Paris. Gleichzeitig bekam Korsika 1982, 1991 und 2002 Sonderstatute, die mehr Selbstverwaltung bringen: eigene Regionalversammlung, eingeschränkte Gesetzgebungsrechte und Unterricht in korsischer Sprache. Viele Expertinnen und Experten sehen einen direkten Zusammenhang zwischen diesen Reformen und dem langsamen Rückgang der Gewalt [10].
Unterstützung in der Bevölkerung
Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Korsen zwar kulturelle Autonomie befürwortete, aber terroristische Mittel ablehnte. Laut einer Studie der Universität Corte von 2010 stimmten nur 10 % „voll und ganz“ den Methoden des FLNC zu [11].
Heute
Seit den Waffenstillständen von 2014/16 ist die Zahl der Anschläge stark gesunken. Polizei meldet jedoch weiterhin kleinere Brandstiftungen ohne offizielle Bekennerschreiben. Beobachter sprechen von „Reststrukturen“ ohne zentrale Führung [12]. Der politische Streit um mehr Selbstbestimmung geht dagegen auf legalem Weg weiter: 2023 begann Paris Gespräche über eine mögliche Verfassungsänderung, die Korsika mehr Entscheidungsfreiheit geben könnte.
Der FLNC prägte vier Jahrzehnte korsische Geschichte. Seine Bomben machten die Insel weltbekannt, verschafften ihr aber auch das Image eines „Pulverfasses“. Gleichzeitig zwang die Gewalt Paris, über Autonomiepakete zu verhandeln. Seit fast zehn Jahren dominiert nun die Politik im Parlament, nicht der Sprengstoff in der Nacht. Ob das so bleibt, hängt von künftigen Verhandlungen und vom wirtschaftlichen Fortschritt auf Korsika ab.
Quellen
[1] P. Antonetti: „Histoire de la Corse“, Fayard, 2015.
[2] Liberation, 6. Mai 1976, „22 attentats dans la nuit: naissance du FLNC“.
[3] B. Seité: „Le nationalisme corse“, Presses de Sciences Po, 1998.
[4] Ministère de l’Intérieur: „Rapport annuel sur la menace terroriste“, 2019.
[5] Cour de cassation, Entscheidung Nr. 87-91526, 1987.
[6] Le Monde, 24. Aug. 1975, „L’affaire d’Aléria“.
[7] Communiqué FLNC, 25. Juni 2014, abgedruckt in Corse-Matin, 26. Juni 2014.
[8] France 24, 29. März 2022, „FLNC threatens to resume armed struggle“.
[9] Assemblée de Corse, Wahlergebnisse 2017 und 2021.
[10] R. Alduy: „Les statuts particuliers de la Corse“, Revue Française de Droit, 2020.
[11] Université de Corse, IFOP-Umfrage „Opinion publique et nationalisme“, 2010.
[12] Europol: „European Union Terrorism Situation Report (TESAT)“, 2023, S. 34 f.