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11. Juni 2025
11. Juni 2025
16:12

Die Meerenge von Bonifacio

Die Meerenge von Bonifacio, die sich zwischen dem südlichsten Zipfel Korsikas und der nördlichen Spitze Sardiniens spannt, ist nicht nur ein spektakulärer Anblick für Segler und Küstenwanderer, sondern auch ein Hotspot mediterraner Biodiversität. Mit ihrem glasklaren Wasser, den zerklüfteten Felseninseln und den wechselnden Strömungen erzählt sie eine Geschichte von Geologie, Meeresleben und grenzüberschreitendem Naturschutz.

Wo liegt die Meerenge?

Die Meerenge von Bonifacio (französisch „Bouches de Bonifacio“, italienisch „Bocche di Bonifacio“) trennt den südlichsten Zipfel der französischen Insel Korsika vom Norden der italienischen Insel Sardinien. Die Mitte der Passage liegt ungefähr bei 41° 20′ N und 9° 15′ E. Am engsten Punkt misst die Meerenge nur rund 11 Kilometer Breite, die Wassertiefe schwankt zwischen 40 und 100 Metern [1].

Zwei verschiedene Meere treffen sich

Westlich der Meerenge liegt das offene westliche Mittelmeer, östlich beginnt das Tyrrhenische Meer. Weil Salinität (Salzgehalt) und Temperatur der beiden Becken leicht unterschiedlich sind, entstehen spürbare Strömungen. Sie laufen meist von West nach Ost, können aber bei starkem Ostwind auch umkehren [2].

Stürmischer Wind – warum das Wasser gefährlich ist

Über Korsika und Sardinien fegt regelmäßig der Mistral, ein kalter, trockener Nordwestwind. In der schmalen Durchfahrt wird er wie in einer Düse beschleunigt, Böen von 40 Knoten (etwa 75 km/h) sind keine Seltenheit. Hinzu kommen zahllose Felsen knapp unter der Wasseroberfläche. Ergebnis: kurze, steile Wellen, tückische Wirbel und schlechte Sicht durch Gischt. Schon die alten römischen Piloten warnten: „Qui ventos Bocche timet“ – „Wer die Winde der Bocche fürchtet, ist klug“ [3].

Inseln wie Perlenketten

Mitten in der Passage liegen zwei Inselgruppen:
• auf französischer Seite die Îles Lavezzi mit den Inseln Lavezzu, Cavallo und einigen Riffen;
• auf italienischer Seite der Archipel La Maddalena mit La Maddalena, Caprera, Spargi, Budelli und anderen Eilanden.
Die Granitfelsen schimmern rosa, das Wasser dazwischen leuchtet türkis. Viele Strände sind nur per Boot erreichbar und gelten als die klarsten des gesamten Mittelmeers [4].

Schutzgebiete – ein gemeinsames Naturerbe

Frankreich erklärte 1999 die „Réserve naturelle des Bouches de Bonifacio“, Italien schon 1994 den „Parco Nazionale dell’Arcipelago di La Maddalena“. Zusammen bedecken diese Schutzgebiete rund 800 Quadratkilometer Meer und Land. Seegraswiesen (Posidonia oceanica) filtern das Wasser, Zackenbarsche und Roten Korallen finden hier Rückzugsräume. Meeresschildkröten, Delfine und gelegentlich sogar Mönchsrobben werden gesichtet [4][5].

Verkehrsregeln für Schiffe

Die Meerenge ist eine wichtige Abkürzung zwischen West-, Nord- und Ostmittelmeer. Jährlich passieren etwa 3 000 Frachter und Fähren. Wegen mehrerer Grundberührungen und kleinerer Ölunfälle ernannte die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) das Gebiet 1993 zum „Particularly Sensitive Sea Area“ (besonders empfindliches Meeresgebiet). Seither gelten strenge Regeln:
• Öltanker oder Chemikalientransporter mit mehr als 5 000 Bruttoregistertonnen dürfen nicht durchfahren.
• Alle anderen Handelsschiffe müssen einen örtlichen Lotsen an Bord nehmen.
• Maximalgeschwindigkeit 16 Knoten, Funkkontakt alle 20 Minuten [2].

Menschen an beiden Ufern

Auf korsischer Seite thront die Stadt Bonifacio spektakulär auf 70 Meter hohen Kreideklippen. Ihr Naturhafen reicht tief in den Felsen hinein und bot schon den Genuesen im 12. Jahrhundert Schutz vor Piraten. Gegenüber liegt Santa Teresa Gallura, gegründet 1808 von König Viktor Emanuel I. Heute finden sich dort Hotels, Fähranleger und Tauchschulen. Im Sommer verbinden täglich mehrere Schnellfähren beide Orte; die Fahrzeit beträgt nur 50 Minuten [1].

Outdoor-Paradies

Windsurfer und Kitesurfer schätzen den beständigen Wind. Wanderer umrunden auf dem „Sentier des Falaises“ die Klippen von Bonifacio, während Segler in den geschützten Buchten der Lavezzi-Inseln ankern. Wegen der gefährlichen Untiefen empfiehlt die Küstenwache jedoch selbst Freizeitkapitänen, einen Lotsen zu bestellen oder wenigstens aktuelle Seekarten zu nutzen [3].

Forschung und Zukunft

Ozeanografen der Universität Korsika und der Universität Cagliari messen seit 2016 gemeinsam Temperatur, Strömung und Mikroplastik. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich die Posidonia-Wiesen in geschützten Zonen erholen, während sie in ungeschützten Ankerbuchten um 5 % pro Jahr zurückgehen. Die beiden Länder verhandeln derzeit über einen länderübergreifenden „Internationalen Meerespark Bonifacio“, der 2025 starten könnte [5].


Die Meerenge von Bonifacio ist auf kleinstem Raum dramatische Natur, gefährliche Schifffahrtsstraße und kostbares Ökosystem zugleich. Wer auf den Klippen steht, spürt den Wind, sieht Sardinien zum Greifen nah und versteht sofort, warum dieser Wasserstreifen seit Jahrtausenden Ehrfurcht einflößt – und warum sein Schutz eine gemeinsame Aufgabe für Frankreich, Italien und alle Mittelmeer-Besucher ist.

Quellen

[1] „Strait of Bonifacio“. Encyclopaedia Britannica, letzte Aktualisierung 2023.
[2] International Maritime Organization (IMO), Resolution A.766(18) „Designation of the Bonifacio Strait as a Particularly Sensitive Sea Area“, 1993; „Bonifacio Strait Mandatory Ship Reporting System“, IMO Dokument SN.1/Circ.308, 2011.
[3] Météo-France, Bulletin „Vent et mer – Bouches de Bonifacio“, Durchschnittswerte 1981–2020, abgerufen 2023.
[4] Réserve naturelle des Bouches de Bonifacio, Jahresbericht 2022; Parco Nazionale dell’Arcipelago di La Maddalena, Management Plan 2021.
[5] Europäische Umweltagentur, Natura 2000-Fiche ITB010008 „Arcipelago di La Maddalena“ und FR9400593 „Bouches de Bonifacio“, Version 2022.

 
bouches de bonifacio