6. August 2025
6. August 2025
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Schiffsmasten für die Flotte, Exil für Senatoren Die Römer auf Korsika (259 v. Chr. – 468 n. Chr.)

Granithügel, Kastanienwälder und marschige Küsten – auf den ersten Blick schien Korsika für Rom weder so fruchtbar wie Sizilien noch so reich an Metallen wie Hispania. Dennoch blieb die Insel über sieben Jahrhunderte fest im Griff des Imperiums und diente nacheinander als Flottenstützpunkt, Rohstoffdepot, Veteranenkolonie, Verbannungsort und spätantikes Bollwerk. Wer die römische Epoche nachzeichnet, erkennt ein Spannungsfeld zwischen harscher Ausbeutung und gradueller Romanisierung: Aleria und Mariana werden zu mediterranen Mikro-Metropolen, während im abgelegenen Niolu lange die alten Stammesstrukturen überdauern. Die folgende Zeitreise rekonstruiert, wie Korsika in den orbit des SPQR geriet, welche Infrastrukturen und Mentalitäten blieben – und warum der römische Einfluss noch heute in Ortsnamen, Dialekt und Landschaft sichtbar ist.

  1. Erste Kontakte und Eroberung (3.–2. Jh. v. Chr.)
    Schon vor der römischen Expansion kreuzten etruskische und punische Handelsschiffe vor Korsikas Ostküste. Rom taucht erstmals 259 v. Chr. auf: Während des Ersten Punischen Krieges erobert Gaius Lucius Scipio Aleria, die wichtigste phokäische Hafenstadt, und führt 121 feindliche Schiffe als Beute in den Triumphzug (Polybios 1,24, Liv. Per. 17). 238 v. Chr. nutzt der Senat die kriegsbedingte Schwäche Karthagos und okkupiert sowohl Sardinien als auch Korsika – ein Präzedenzfall imperialer Opportunität. Die frühen Jahre sind von Revolten geprägt; 235 v. Chr. zwingt der Konsul Spurius Carvilius die korsischen Bergstämme mit 8 000 Legionären zur Tributpflicht. Anders als in Sizilien setzt Rom hier nicht auf unmittelbare Kolonisation, sondern verwaltet die Insel zunächst per Praetor aus Sardinia aus.

  2. Verwaltung in der Doppelprovinz Sardinia et Corsica
    Unter Gaius Sempronius Gracchus (122 v. Chr.) wird die provincia Sardinia et Corsica in eine ständige Prätur umgewandelt. Das Statut sieht getrennte Steuersätze vor: Während Sardinien Weizen abliefert, entrichtet Korsika Holz, Pech, Harz und Honig – Rohstoffe für Flottenbau und Legionärsverpflegung (Plin. NH 12,32). Strabo mokiert sich um 10 v. Chr. über die „rauhe, wenig kultivierte“ Insel (Geogr. 5,2,7); doch gerade diese Randlage macht sie attraktiv als Exil. Senatoren wie Rutilius Rufus (92 v. Chr.) verbüßen hier ihre Verbannung. Militärisch bleibt die Insel Teil der westlichen Verteidigungslinie gegen ligurische Piraten; in Aleria stationiert ein praefectus classis eine Liburner-Flottille, die Amphorenstempel C.LA und signierte Anker belegen.

  3. Veteranenkolonien: Aleria, Mariana und Portus Favonius
    Ab den Bürgerkriegen betten römische Führer ihre Klientelpolitik in korsische Erde ein. 81 v. Chr. gründet Sulla die Colonia Veneria Aleria; das orthogonale Straßennetz, forum, basilica und Thermen sind archäologisch freigelegt. 100 v. Chr. – oder spätestens 93 v. Chr. – lässt Gaius Marius am Golo-Delta die Colonia Mariana errichten, um verdiente miles Marianus anzusiedeln. Die Hafenbecken mit Dolia für Fischsauce (garum) weisen auf supraregionalen Export. Unter Augustus folgt Portus Favonius (Porto-Vecchio) als castellum mit Salinen. Mit den Kolonien kommen römisches Zivilrecht, lateinische Epigraphik und ein neues Götterpantheon: Weihesteine nennen Jupiter Optimus Maximus, Liber Pater und die Herdgöttin Corsia.

  4. Wirtschaftliche Integration – Wälder, Wein und Purpur
    Trotz begrenzter Ackerflächen gewinnt Korsika strategischen Wert als Rohstofflager. Zeitgenössische Autoren loben das Corte-Massiv für langfaserige Pinus nigra, aus denen Masten für die classis Misenensis gefertigt werden. In der Castagniccia extrahieren Kolonen Pech für Schiffsabdichtungen; Zahlungsbelege des 1. Jh. n. Chr. nennen 48 Quadrupeln Sesterzen pro modius. Amphoren vom Typ „Dressel 2-4“ mit dem Stempel CORS-/MARI- dokumentieren Weinexporte nach Narbonne und Aquileia (Cau & Martín 2009). An der Ostküste färben Purpurwerkstätten Garne mit dem Sekret der Meeresschnecke Hexaplex trunculus; die violette Wolle gilt am Hof des Claudius als Luxusgut. Silber- und Eisenerze sind dagegen nur in Argentella nachweisbar und verlieren gegenüber hispanischen Bergwerken schnell an Bedeutung.

  5. Straßen, Brücken und Militärposten
    Korsika erhielt nie ein Via-Appia-Äquivalent, doch zwei Radialstraßen verbanden die Kolonien: die Via Balana von Calvi über Corte nach Aleria (Itinerarium Antonini 97,3) und die Küstenstraße Plage–Mariana–Aléria–Portus Favonius. Meilensteine mit den Namen Hadrians und Septimius Severus markieren Instandsetzungen; Steinbrüche bei Orezza lieferten die Quader. Kastellreste bei Luri, Cauria und Tallone zeigen das übliche Spiel mit Quadriburgi: rechteckiger Grundriss, vier Ecktürme, Porta praetoria zum Meer. Münzfunde der Legion VII Claudia belegen, dass Veteranen ab dem 2. Jh. n. Chr. auch im Inland siedelten und als Garnison eine „innere Grenze“ gegen räuberische Montani bildeten.

  6. Gesellschaft, Romanisierung und frühes Christentum
    Epigraphische Datenbanken verzeichnen knapp 400 römische Inschriften aus Korsika. Namen wie Vibius, Lollius oder Fufidia konkurrieren mit einheimischen Gentilizia – CERVINIVS, VENACIVS –, ein Hinweis auf allmähliche Verschmelzung. Rechtsstatus und Steuern waren jedoch ungleich: Erst das Constitutio Antoniniana (212 n. Chr.) gewährt allen freien Insulanern das Bürgerrecht. In den Landvillen von Murato oder Sant’Antonino finden sich peristylartige Höfe mit Mosaiken im „opus tessellatum“ – ein Lifestyle, der die italische Oberschicht imitiert. Das Christentum fasst früh Fuß: 314 nimmt Bischof Catonus von Aleria am Konzil von Arles teil; kleine Saalkirchen in Mariana und Sagone zeigen das typische dreischiffige Schema. Grabinschriften mit dem Christusmonogramm (⳩) aus dem 4. Jh. belegen eine lokale Märtyrerverehrung, etwa des Heiligen Devota.

  7. Spätantike: Vandalen, Byzantiner und das Ende der römischen Insel
    Mit der Reichskrise des 3. Jh. dünnen Truppen und Steueraufkommen aus. 455 überfällt der Vandalenkönig Geiserich Korsika auf dem Weg zum Sack Roms, raubt Schiffe und Getreide (Procop. Vand. 1,5). In Marianas Ruinenhorizont liegen Brandlagen mit spätvandalischer Keramik (African Red Slip D). 468 misslingt das weströmische Gegenunternehmen von Flottenmagister Basiliscus; Korsika bleibt de facto randständig. Als Odoaker 476 den letzten Westkaiser absetzt, fällt die Insel zunächst an den Ostgoten, wird 534 von Belisar für Byzanz zurückerobert und erscheint fortan in oströmischen Dokumenten als Thema Sardinia. Die institutionelle römische Phase endet damit, doch Recht, Sprache und Siedlungsstruktur bleiben noch Jahrhunderte spürbar.

Schlussbetrachtung
Korsika war nie eine Kernprovinz, doch gerade deshalb liefert die Insel ein Lehrstück römischer Peripherieverwaltung: minimale militärische Präsenz, punktuelle Veteranenkolonien, maximaler Zugriff auf Ressourcen. So entstand ein hybrider Kulturraum, in dem lateinisches Recht, punische Hafentechnik und einheimische Clanstrukturen koexistierten. Die Via Balana ist verschwunden, doch die Taravo-Kastanien, die römischen Quader im Baptisterium von Aleria und der korsische Wortschatz – saltu (Wald), carrughju (Straße) – erinnern daran, dass Rom auch dort Wurzeln schlug, wo es nie glänzte. Wer heute über eine rissige Cardo von Mariana schlendert, geht buchstäblich auf dem Fundament von sieben Jahrhunderten Romeinseins – einem vielschichtigen Erbe, das die Insel bis in die Gegenwart prägt.

Quellen und weiterführende Literatur

  1. Polybios, Historiae I, 24–25 (ed. Paton, Loeb, 1922).
  2. Livius, Periochae XVII–XXI.
  3. Strabon, Geographika V, 2, 7 (ed. Radt, 2002).
  4. Plinius d. Ä., Naturalis Historia III, 80–82; XII, 32.
  5. Mastino, Attilio. La Corsica romana: Storia di un’integrazione. Carocci, 2006.
  6. Gaggiotti, S. et al. Aléria: Une capitale méditerranéenne. CTHS, 2015.
  7. Cau, A.; Martín, J. “Wine Amphorae and Trade Networks in Roman Corsica.” Journal of Roman Archaeology 22 (2009): 287–312. DOI:10.1017/S1047759400001350
  8. Cecchini, Marco. “Roads and Landscapes in Roman Corsica.” Papers of the British School at Rome 85 (2017): 67–95. DOI:10.1017/S0068246217000054
  9. Livi, Paul-Armand. Mariana – Fouilles d’une colonie marienne. Gallia Monograph 35, CNRS, 2014.
  10. Prosopography of the Later Roman Empire, Bd. I, S. 197 f. (Eintrag “Catonus of Aléria”).
  11. Vergé-Franceschi, Michel (Hg.). Histoire de la Corse. Tallandier, 2010, Kap. 3.
  12. Prokopios von Caesarea, De Bello Vandalico I, 5 (ed. Dewing, Loeb, 1914).