Eine Insel als Freilichtmuseum
Korsika („Kalliste“ – die Schöne – nannten sie schon die Griechen) wirkt, als hätte jemand ein Gebirge ins Meer gesetzt, dann eine Galerie und ein Archäologielabor darauf verteilt. Auf kaum 8 700 km² findet man 1 000 km Küste, vier Hochgebirgszüge über 2 000 m und eine Geschichte, die von prähistorischen Menhiren über römische Garnisonen, genuesische Kaufleute, französische Kaiser bis zur Gegenwart der Cross-Over-Festivals reicht. Die wichtigsten Museen decken alle Epochen ab, doch die größte Attraktion bleibt oft das Drumherum: Eine Zitadelle steht auf einem Kliff, ein Kunstpalast blickt auf einen Strand, ein Archäologiemuseum ragt aus Reisfeldern. Der folgende Überblick sortiert die Insel von Süd nach Nord und von der Küste Richtung Hochland – gewürzt mit Reisetipps und Nutzinfos wie Öffnungszeiten-Tendenzen oder Kombi-Tickets.
Ajaccio: „Imperiale“ Kunst & Iles Sanguinaires
1.1 Musée Fesch – Louvre im Kleinformat
Kardinal Joseph Fesch, Onkel Napoléons, vermachte seiner Geburtsstadt 17 000 Werke, darunter den weltweit zweitgrößten Bestand an italienischer Malerei nach dem Louvre: Botticelli-Werkstatt, Tizian-Atelier, Veronese, Barocci, noch mehr Barock bis zu Giovanni Fattori. Die Hängung folgt einer brandneuen narrativen Chronologie (2021 neugestaltet). Ein Stockwerk tiefer ergänzt das „Napoléon-Espace“ Memorabilia vom Kaiserhut bis zum Feldbett. Good to know: Mittwochs ab 18 Uhr ist der Eintritt frei, sofern keine Sonderausstellung läuft.
1.2 Maison Bonaparte
Zwei Gassen weiter steht Napoléons Geburtshaus. Multimediale Projektionen der „Fondation Napoleon“ rekonstruieren Alltagsszenen wie den Kanonenlärm der Belagerung von Toulon (führbar via AR-Headset). Schlüsselobjekt: die Original-Kleinkindschuhe des späteren Kaisers.
1.3 „A Bandera“ – Museum der korsischen Geschichte
Weniger bekannt, aber für Kontrast essentiell: ein Bürger-Museum über Banditenwesen, Resistenza, polyphone Gesänge. Die Ausstellung endet in einer Dachterrasse mit 180-Grad-Blick auf den Golf und die rötlich glühenden „Îles Sanguinaires“, die man am besten beim Apéro in der Vauban-Batterie erlebt.
Die Westküste: UNESCO-Bühne zwischen Piana und Scandola
2.1 Calanche de Piana & Capo Rosso
Rötlicher Porphyr, von Wind und Salz wie Kathedralen geformt. Die „Calanche“ kann man per Auto (D81) or ab Piana per Wanderpfad erkunden. Golden Hour um 19 Uhr: die Felsen wechseln von Terrakotta zu Purpur.
2.2 Scandola Nature Reserve (UNESCO seit 1983)
Nur per Boot ab Porto, Calvi oder Galeria erreichbar. Strenge Landungsbeschränkung – 2022 auf 2 000 Besucher/Tag gedeckelt. Hier brüten Eleonorenfalken, und das Museum „Maison de la Réserve“ in Galeria erklärt die Vulkanologie und ökologische Monitoring-Programme.
2.3 Porto-Ota: Aquarium de la Poudrière
Ein kleines, aber didaktisch starkes Haus in einem ehemaligen Pulvermagazin. Lässt Jung und Alt die Lagunen- und Tiefsee-Ökosysteme des Golfs durch halbsphärische Scheiben erleben.
Südspitze: Bonifacio – Kalkfelsen und unterirdische Geschichtsstollen
3.1 Bastion de l’Étendard
Das älteste erhaltene Bauwerk (13. Jh.). Neu seit 2020: ein interaktiver „Tunnel of Time“ mit Mapping-Projektionen über jede Schlacht, von der aragonesischen Belagerung bis zu den Aliens in Luc Bessons „Valerian“, der hier gedreht wurde.
3.2 Musée du Patrimoine Maritime
In der Kasematte unter der Zitadelle beleuchten Dioramen die Galeeren-Technik der Genueser und die Nautik des Zweiten Weltkriegs, als Bonifacio für U-Boote diente. Tipp: Kombi-Ticket mit dem Aufstieg „Escalier du Roi d’Aragon“ (187 Klippenstufen).
3.3 Lavezzi-Inseln
Gehören zum Nationalen Naturschutzgebiet. Keine Souvenirbuden, aber Mikrokosmen von 68 Vogel- und 180 Pflanzenarten; Glasbodenboote ab Bonifacio.
Südostküste: Porto-Vecchio, Salzgärten & Küstenträume
4.1 Bastion de France – Espace Patrimoine
Ein neu eröffnetes Center (2021), das anhand VR-Rekonstruktionen die drei gescheiterten Genueser Stadtgründungen erzählt, plus Malaria-Drama. Dachterrasse = bester Blick auf die heute stillgelegten Salinen, in denen Flamingos grasen.
4.2 „Sentier du Sel“
Ein 3-km-Lehrpfad auf Holzstegen durch die ehemaligen Verdunstungsbecken. Infoschilder zweisprachig (Französisch/Korsisch). Sonnenuntergang lässt das Sole-Wasser pink leuchten – Instagram-Spot.
4.3 Traumstrände Palombaggia & Santa Giulia
Keine Museen, aber lebende Postkarten. Anfahrt früh am Morgen, weil Parkplätze 10 Uhr voll sind.
Alta Rocca & Vorgeschichte: Megalithik in Filitosa, Levie & Cucuruzzu
5.1 Filitosa
Liegt 14 km nördlich von Propriano. Fünf Meter hohe Menhir-Statuen (ca. 1 500 v. Chr.) mit eingravierten Schwertern – Keltesten der westlichen Mediterranée. Das Besucherzentrum zeigt 3D-Scanner-Animationen, die den Zeremonialplatz im Fackelschein rekonstruieren.
5.2 Musée de l’Alta Rocca (Levie)
Bündelt Funde aus 25 prähistorischen Stätten der Region. Starobjekt „La Dame de Bonifacio“, ein 9 000 Jahre altes Skelett, das den ältesten modernen Menschen der Insel repräsentiert.
5.3 Parc Archéologique Cucuruzzu-Capula
Zyklopenmauern im Kastanienwald. Der 3 km-Rundweg führt über Stege, damit Moose nicht zerstört werden. Audioguides auch auf Deutsch.
Corte & Zentralgebirge: Geistige Hauptstadt
6.1 Musée de la Corse (Citadelle)
Im ehemaligen Getreidespeicher (19. Jh.) der Zitadelle. Dauerausstellung „Une île, un peuple, un imaginaire“ kuratiert anhand von 3 500 Objekten: Waffen der Clan-Fehden, Paoli-Autografen, Partisanen-Funkgeräte, vulgo „Corsica through 10 centuries“. Wechselausstellungen thematisieren 2024: „Rock et Résistance – Musique clandestine 1943–1975“.
6.2 Restonica-Tal & Tavignano-Schlucht
Hier beginnt der alpinste Teil des GR 20. Das Universitätsobservatorium „CNRS Restonica“ bietet Freitagsführungen zu Klimaforschung – ein selten touristischer Blick in Wissenschaft.
6.3 Casa Natale Pasquale Paoli (Morosaglia)
Nationalheiligtum des korsischen Unabhängigkeitshelden. Dokumente wie die erste korsische Verfassung (1755) sind als Hologramm reproduziert, das Original lagert in Ajaccio.
Ostküste: Römisches Aleria & Lagunen voller Austern
7.1 Musée Départemental d’Archéologie Jérôme-Carcopino
Im Fort Matra, einer Aragon-Pentagon-Festung, befinden sich römische Mosaike, punische Amphoren, etruskische Schmuckstücke. Highlight: der „Tre Benni“-Silberschatz (100 v. Chr.) und ein rekonstruiertes Triremen-Bugteil.
7.2 Ruinenfeld „Alalia“
Neben dem Museum frei zugänglich (5 € Kombi). Sichtbar sind Thermenanlagen, Decumanus Maximus, ein Forumstempel.
7.3 Étang de Diane
Hier züchten Familien seit Römerzeiten Austern. Eine kurze Bootsfahrt mit Verkostung (10 €) verbindet Archäologie mit Kulinarik.
Bastia & Cap Corse: Barocke Pracht und Gouverneurs-Paläste
8.1 Musée de Bastia (Palais des Gouverneurs)
Modernisiert 2016. Chronologie in Reverse: Man beginnt im Heute (Street Art, Hafenkrisen), steigt Stock für Stock zurück bis zur genuesischen Gründung 1380. Seltene Stücke: Globus von Coronelli (1688) und das Logbuch des korsischen Korsaren Costa Balena.
8.2 Terra Nova vs. Terra Vecchia
Eine kostenlose Freiluft-Ausstellung (QR-Code-Rallye) führt durch 24 Stationen, u. a. die „Scala Santa“, ein 17-stufiger Marmorweg.
8.3 Cap Corse Touren
22 genuesische Wachtürme in Tagesreichweite. Must-sees: Tour de Nonza (schwindelerregendes Dorf auf Basaltkegel) und Tour de Seneca bei Luri, die laut Legende einem römischen Philosophen als Exil diente.
Balagne: Calvi, Île-Rousse & die Strada di l’Artigiani
9.1 Citadelle de Calvi & Musée Colomb
Legt die Kolumbus-Ist-Er-Nun-Geboren-Gewesen-These kritisch dar. Dachterrasse mit 360-Panorama.
9.2 STARESO (Station de Recherche Subaquatique)
Alle zwei Tage öffentliche Führung. Erklärt, wie Meereswissenschaft funktioniert – vom „DNA-Barcoding“ der Posidonia-Wiesen bis zur Stressmessung von Korallen.
9.3 Parc de Saleccia (botanischer Garten)
Erklärt Macchia-Pflanzen nach Duft-Zonen. Perfekt als chilliger Break von Burgen-Hopping.
9.4 Strada di l’Artigiani
Ein 76 km-Rundkurs durch Bergdörfer, in denen Kunsthandwerker Glas blasen, Esskastanien-Bier brauen oder Messer schmieden. Broschüre im Office de Tourisme Calvi.
Nordwest: Das Désert des Agriates & Nebbio-Bischofssitz
10.1 Saint-Florent Zitadelle & Musée La Citadelle
Klein, aber mit VR-Brillen, die Piratenüberfälle in 300° simulieren.
10.2 Plage de Saleccia & Lotu
UN-typische weiße Strände, Bootsshuttle oder Geländewagen ab Casta. Das Conservatoire du Littoral hat Stegwege installiert, um die Dünen zu schonen.
10.3 Kathedrale Santa Maria Assunta di Nebbio
Vorreformatorische Pisaner Romanik (1140), Kreuzkuppelbau, einzigartig im westlichen Mittelmeer.
Querbeet-Tipps: Spezial- und Familienmuseen
11.1 A Cupulatta (Vero)
Größtes Schildkröten-Schutzzentrum Europas (170 Arten). Kleines Museum erklärt Langlebigkeitsforschung mit DNA-Sequenzierung der Aldabra-Riesen.
11.2 Musée Galea (Taglio-Isolaccio)
Multidisziplinär: Antike, Anthropologie, Fotoausstellungen. 9 Hektar mediterraner Garten rahmt Freiluft-Pavillons.
11.3 Ecomusée du Niolu (Calacuccia)
Zeigt originale Hydroturbinen der ersten korsischen Stauseeanlage (1951) und Leben in 900 m Höhe.
11.4 Maison-Musée de la Châtaigne (Bocognano)
Alles zur „ersten Brotkultur“ Korsikas. Verkostungen: Kastanienbier, ‑flan, ‑crème de marron.
11.5 Musée de la Miniature (Bastia)
Sammlung von 5 000 Zinnkriegern und Dioramen – ein Geheimtipp für Regentage.
Immaterielles Weltkulturerbe: Polyphone Chant-tradition
Seit 2009 schützt die UNESCO die korsischen „Paghjella“-Gesänge. Das kleine „Centro Voce“ in Pigna (Balagne) bietet Workshops; geführte Probenabende in Dorfkirchen sind selbst für Atheisten Gänsehaut pur.
Praktische Routenplanung & Kombi-Pässe
• „Pass Musées du Sud“ (Filitosa + Cucuruzzu + Musée de l’Alta Rocca) spart 20 %.
• Viele Häuser sind Montags zu; planen Sie dafür Naturtage.
• Die Schmalspurbahn „U Trinighellu“ (Calvi-Bastia-Ajaccio) verbindet sieben Sehenswürdigkeiten dieser Liste direkt. Umwelt-Plus: spart Mietwagen und Parkgebühren.
• Nebensaison (Oktober–April): reduzierte Fährtarife und leere Wege, aber einige Küstenmuseen schließen um 16 Uhr.
Epilog: Warum Korsika süchtig macht
Auf dem Papier sind es „nur“ Museen, Strände, Wälder. Vor Ort verschmelzen sie: Man wandert vormittags durch steinerne Skulpturen der Torre-Kultur, hört mittags das Donnern der Brandung unter Napoléons Kindheitsfenster und landet abends in einer Bar, in der drei Stimmen eine Paghjella anstimmen. Diese Dichte an Zeitschichten – verstärkt durch das Nebeneinander von alpiner Frische und subtropischer Hitze – macht den Besuch zu einer Zeitreise mit 3-D-Soundtrack.
Quellen (Auswahl, letzte Abfrage Mai 2024)
[1] Musée Fesch – Base Joconde & catalogue en ligne
[2] Musée National de la Maison Bonaparte: Dossier scientifique 2023, Ministère de la Culture.
[3] UNESCO World Heritage Centre: Gulf of Porto – https://whc.unesco.org/en/list/258
[4] Parc Naturel Marin du Cap Corse et Agriate: Plan de gestion 2022–2027.
[5] Musée de l’Alta Rocca, Levie: Guide officiel, éd. Albiana 2020.
[6] Musée Départemental d’Archéologie d’Aléria – Catalogue Carcopino (6. éd., 2022).
[7] Musée de la Corse (Corte): “Rapport annuel 2023” – Collectivité de Corse.
[8] STARESO Scientific Station: Annual Report 2023, Université de Liège.
[9] Arrêté préfectoral n°2B-2022-07 – Limitation journalière des visites à Scandola.
[10] INSEE: Atlas démographique de la Corse, éd. 2023.
[11] Conservatoire du Littoral: Site Fautea-Pinarellu – Plan d’aménagement 2021.
[12] Jean-Pierre Grolleau: « Les menhirs-statues de Filitosa », Revue d’Archéologie Méditerranéenne 35/2 (2020).
[13] Maison de la Châtaigne – Dossier pédagogique, Chambre d’Agriculture de Corse-du-Sud, 2022.
[14] CNRS Restonica Observatory: Climate Bulletin 1997-2023.
[15] UNESCO Intangible Heritage: File 00467 – Corsican polyphonic singing „Paghjella“.
[16] Thomas Pesquet / ESA: “Geo-spectacular Corsica”, Earth Observation Journal 12/2021 – Satellitenbilder der Calanche.
(Bitte beachten: Öffnungszeiten und Ticketpreise können sich ändern; stets die Museumswebsites oder lokalen Offices de Tourisme checken.)