13. Mai 2025
13. Mai 2025
01:22

Sturm bei Porto-Pollo

Vor mittlerweile über 30 Jahren – so genau kann ich es heute kaum noch beziffern – ereignete sich ein Campingabenteuer, das mir bis heute in lebhafter Erinnerung geblieben ist. Wir hatten uns in der Nähe von Porto-Pollo auf einem damals noch relativ neuen und wunderschönen Campingplatz niedergelassen. Damals reiste unsere Familie noch mit einem klassischen PUCH-Zelt, wie es früher viele Camper taten, und wir hatten das Glück, einen idyllischen Stellplatz zu finden. Unser Bus stand in unmittelbarer Nähe zum Zelt geparkt, sodass wir schnellen und unkomplizierten Zugang zueinander hatten. Die Sonne schien, das Meer war ruhig, und ein zartes Lüftchen sorgte für eine angenehme Kühle – der perfekte Tag, um dem Alltag zu entfliehen und sich ganz dem Camping-Feeling hinzugeben.

Der Tag verlief in gewohnter, entspannter Manier. Am Abend kehrten wir zurück zu unserem Platz, wo das vertraute Murmeln der anderen Camper und das sanfte Rauschen des Meeres uns sofort das Gefühl gaben, angekommen zu sein. Wie so oft ging auch dieser Abend in behaglicher Routine zu Ende: Unsere Kinder kuschelten sich in ihre Schlafsäcke, und auch Joschi, unser treuer Hund, hatte sich bereits einen gemütlichen Platz ausgesucht. Die friedliche Stille der Nacht legte sich über den Campingplatz – oder so dachten wir zumindest.

Doch mitten in der Nacht wendete sich das friedliche Bild schlagartig. Plötzlich wurde Joschi unruhig; er sprang auf und lief zielstrebig in Richtung unseres Busses. Zunächst fanden wir dieses Verhalten des Hundes irritierend und fragten uns, was ihn nur so in Aufruhr versetzte. Meine Frau, die ihm hinterherging, rief mich sichtlich gestresst herbei. Aus der Dunkelheit drang ein bedrohliches, stetig lauter werdendes Rauschen zu uns – ein Klang, der sofort unsere Aufmerksamkeit erregte. Es war, als ob die Natur uns warnte: Etwas war im Anflug.

Je näher das laute Rauschen kam, desto klarer wurde uns, dass sich ein heftiger Sturm zusammenbraute. Die Instinkte unseres Hundes, der in solchen Momenten Schutz sucht, konnten wir nicht ignorieren. In dem Bewusstsein, dass wir unsere Kinder nicht der drohenden Gefahr aussetzen wollten, eilten wir kurzerhand dazu, sie ebenfalls in unseren Bus zu bringen – ein Zufluchtsort, der in dieser Nacht unser sicherer Hafen werden sollte. Kaum waren die verstörten Kleinen bei uns, offenbarte sich das Unvermeidliche: Ein Sturm der Windstärke 12 brach über uns herein, begleitet von heftigem, unerbittlichem Starkregen.

Was als nächstes geschah, war überwältigend. Meine Frau und ich kämpften verzweifelt darum, unser Zelt zu sichern. Mit aller Kraft hielten wir an den Stangen und Seiten des Zeltes fest, während der Regen unbarmherzig auf uns einschlug und uns binnen Minuten bis auf die Knochen durchnässte. Es schien fast, als wollten die tobenden Naturgewalten uns zu Fall bringen. Überall flogen Gegenstände durch die Luft – sogar Segel von den Surfern, die den Küstenabschnitt frequentierten, wurden vom Wind erfasst und schlugen hart gegen unser Vorzelt. Der Sturm hinterließ dabei eine Spur der Verwüstung, und unser Vorzelt gab dem Ansturm schließlich völlig nach.

Sturm bei Porto-PolloIn diesen turbulenten Momenten überkam uns das Bewusstsein, dass es kein Zurück gab – wir mussten standhalten, bis die Gewalt des Sturms nachließ. Trotz unserer Erschöpfung und des Angstgefühls, das sich in uns breit machte, wusste jeder von uns, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Sturm sich legen würde. Mit klammernden Händen und fest entschlossenen Herzen kämpften wir weiter, während der Wind um uns heulte und der Regen uns wie eine Naturgewalt umgab.

Nach ungefähr einer Stunde endete der tobende Sturm so plötzlich, wie er hereingebrochen war. Als sich der Lärm legte und die letzten Böen nachließen, öffnete sich vor unseren Augen ein Bild des Schreckens: Der gesamte Campingplatz glich einem Trümmerfeld. Überall lagen Teile von Zelten, zerrissene Handtücher, flatternde Segel und allerlei Ausrüstungsgegenstände verstreut. Die ganze Gemeinschaft der Camper war mitten in einem kollektiven Aufräumakt, während die einen verzweifelt nach vermissten Stücken ihrer Unterkunft suchten und andere notdürftig versuchten, ihre Behausungen zu reparieren.

Glücklicherweise blieb unser Zelt trotz des heftig gewordenen Sturms weitgehend verschont – bis auf das Vorzelt, das dem Unwetter nicht standhalten konnte. Dies gelang uns nur dank unseres unermüdlichen Einsatzes, der uns in dieser Nacht noch enger zusammenschweißte. Während alle anderen sich in den sicheren Bussen zur Nacht zurückzogen, fand ich mich – durch meine eigene Entscheidung – im feuchten,, aber schützenden Zelt wieder. Die restlichen Stunden der Nacht verliefen in einer eigenartigen Stille, als ob der Sturm niemals gewütet hätte, während wir alle versuchten, das Erlebte zu verarbeiten.

Der nächste Morgen brachte ein fast unwirkliches Bild mit sich. Als die korsische Sonne den Regen in Sekundenschnelle verdampfen ließ, offenbarte sich das Ausmaß der Zerstörung. Zwischen Wasserpfützen und verstreuten Gegenständen hingen Fetzen von Zelten, Handtücher und Surfsegel als stumme Zeugen einer Nacht, die uns alle auf die Probe gestellt hatte. Inmitten dieses Chaos bewies jedoch der wahre Geist des Campings seine Stärke: Die Camper, die anfangs noch geschockt waren, halfen einander tatkräftig und reparierten gemeinsam Schäden, tauschten Tipps aus und unterstützten sich gegenseitig – ein Bild der Solidarität, das mir bis heute in Erinnerung ist.

Dieses Erlebnis hat mir eindrücklich gezeigt, dass die Natur, trotz ihrer unberechenbaren Kraft, auch Momente der Verbundenheit und des Zusammenhalts hervorbringen kann. Jeder einzelne von uns – vom jungen Familienvater bis hin zur alten Dame, die ihren kleinen Zeltplatz pflegte – hatte an jenem Tag allen Grund, innezuhalten und die unerschütterliche Kraft des Lebens zu bewundern. Es waren nicht nur die Naturgewalten, die uns vor Augen führten, wie klein wir im Angesicht der Elemente sind, sondern auch das immense Potenzial der Gemeinschaft, das entstehen kann, wenn sich Menschen zusammentun.

Mit diesen Erinnerungen, die fast wie aus einer anderen Zeit wirken, blicke ich heute – Jahrzehnte später – mit einer Mischung aus Staunen und Dankbarkeit zurück. Dankbarkeit dafür, dass wir alle heil aus jener Nacht herausgekommen sind und eine Geschichte gewonnen haben, die uns immer wieder daran erinnert: Bei all dem, was uns die Natur entgegenwirft, ist es der menschliche Zusammenhalt, der uns letztlich trägt. Dieses Erlebnis in Porto-Pollo bleibt ein lebendiges Kapitel in meinem Leben – ein Tag, der uns zeigte, dass man manchmal einfach innehalten, kämpfen und dann gemeinsam auf die sonnigeren Stunden des nächsten Morgens vertrauen muss.