26. April 2025
26. April 2025
18:18

Unvergesslich beim Ziegenbauern

Lässt man sich auf Korsika ein – eine raue, bergige Insel im Mittelmeer – und nutzt sie nicht nur als irgendein Ziel für den Urlaub, verströmt diese Insel einen  ganz besonderen Zauber. Hier verschmelzen Natur, Geschichte und Traditionen zu einem einzigartigen Lebensgefühl, das tief in den meisten Herzen der wirklichen Korsen verwurzelt ist. Die korsischen Menschen leben eng mit ihrer beeindruckenden Landschaft verbunden, und zugleich pflegen sie überlieferte Bräuche und Handwerkskünste, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Die Insel ist nicht nur ein Paradies für Naturliebhaber, sondern gerade auch ein Ort, an dem Gemeinschaft, Gastfreundschaft und stolze Eigenheiten den Alltag prägen. Wenn man nicht als Tourist kommt, sondern als Besucher und sich die Zeit nimmt, in das Landesinnere einzutauchen, spürt man das wahre Korsika.

Die wahren Korsen sind für ihre ausgeprägte Verbundenheit zu ihren Wurzeln bekannt. In kleinen Dörfern und weit verstreuten Siedlungen in den Bergen sowie an den malerischen Küstenlinien zeigt sich eine traditionelle Lebensweise, die dem schnellen Wandel der modernen Welt oft trotzt. Man kann hier noch tief in kulturelle Rituale und Bräuche eintauchen, die Jahrhunderte überdauert haben, wenn sie dich akzeptieren und vertrauen. Die Menschen schätzen ihre Unabhängigkeit und den Erhalt einer alten Lebensart, die geprägt ist von Einfachheit, Naturverbundenheit und einer intensiven Beziehung zu den eigenen Mitmenschen. Ihr solltet aber nicht glauben, dass ihr mit offenen Armen empfangen werdet, aber sicher mit offenen Augen und Ohren. Es dauert lange, bis ein Korse ein tiefergehendes Vertrauen zu Festlandmenschen aufgebaut hat. Bei mir und meiner Familie hat es Jahre gedauert und war nur über Freunde möglich. Wir mussten zeigen, dass wir die Insel nicht nur benutzen, sondern auch respektieren und lieben.

Der Alltag der Korsen ist, außerhalb des Tourismus, oft eng mit der Landwirtschaft, als Weinbauer und der Viehzucht verknüpft. Auf den steilen Hängen und weitläufigen Weiden der Insel führen die Menschen ein Leben, das dem Rhythmus der Natur folgt. Manche korsische Familien besitzen kleine Höfe, auf denen Vieh, besonders Ziegen, eine wichtige Rolle spielt. So auch jene alten Handwerkskünste, die in der Herstellung von exquisitem Käse ihren Ausdruck finden. Die lokale Käseproduktion hat auf Korsika eine jahrhundertealte Tradition, und jeder Bissen enthüllt den authentischen Geschmack einer Landschaft, in der Naturprodukte noch mit viel Respekt und Sorgfalt zubereitet werden.

Gemeinsam mit einem unseren guten Freund Anick, der einen Campingplatz in den Bergen besitzt, unternahm ich einen Ausflug in die höher gelegenen Bergregionen Korsikas. Das Ziel meines Freundes war es, den authentischen Charme eines seiner Freunde, einem alten Bergbauer, zu erleben und den Menschen kennenzulernen. So führte uns unser Weg abseits der üblichen Touristenpfade und Straßen in ein kleines hohes Tal, wo wir einem 80-jährigen Ziegenbauer begegneten – einem Mann, der sein Leben in unbeschreiblicher Harmonie mit der Natur und den Tieren verbracht hatte.

Schon bei unserem Eintreffen spürten wir, dass hier die Zeit langsamer zu vergehen schien. In der kühlen Morgenluft des beginnenden Tages, als der erste Schimmer des Sonnenlichts die Berggipfel in warme Farben tauchte, trafen wir den alten Mann, der fortan unser Tagesbegleiter wurde. Ohne Eile und mit einer fast rituellen Gelassenheit begann er seinen Tag, als würde er das Erwachen der Natur selbst begrüßen. Noch bevor der restliche Tag an Kraft gewann, machte sich der alte Ziegenbauer daran, seine Herde in der weiten Landschaft aufzusuchen. Trotz seines betagten Alters schien er von einer unerschütterlichen Vitalität erfüllt zu sein, die einem tiefen inneren Frieden entsprach.

Mit ruhiger Autorität führte er uns zu seinem weitläufigen Gelände, wo seine Ziegen – frei und ungebunden – fröhlich umherstreiften. Es war ein beeindruckender Anblick: Die Tiere liefen wie kleine, lebendige Silhouetten über die saftig grünen Weiden, ohne sich von der Präsenz der Menschen beeindrucken zu lassen. Für den alten Bauern waren sie nicht nur Nutztiere, sondern Freunde und ein Teil seines Lebens. Jeder einzelne hatte seinen festen Platz in der täglichen Ordnung, und so wurde das Melken zu einer fast schon meditativen Zeremonie. Mit sorgsamer Präzision und liebevoller Aufmerksamkeit kümmerte er sich um jede Ziege, als würden seine Bewegungen den Takt der Natur widerspiegeln. Sein Blick war ruhig und weise, als er jede Handbewegung ausführte – ein stille Hommage an die jahrhundertealte Tradition der Ziegenzucht.

Als die Morgensonne höher stieg und die Schatten über die Berge hinwegwehten, luden uns der Ziegenbauer zu einem kleinen Mahl ein. Anlass war es, seinen Ziegenkäse zu verkosten, der in der Region für seine besondere Qualität berühmt war. Der Käse – ein handwerklich hergestelltes Produkt, das mit viel Liebe und Sorgfalt gereift war – entpuppte sich als ein Geschmackserlebnis, das seinesgleichen suchte. Ein kleines, aber feines Hindernis hielt mich von der Verkostung ab. Mein Freund Anick und auch der Bauer zückten ihre Messer, teilten den Käse in kleine mundgerechte Stücke und ließen es sich schmecken. Nach einer Weile vernahm ich das Schmunzeln auf deren Gesichtern und natürlich wusste ich, dass sie Spaß hatten, weil ich als Festland-Europäer natürlich kein Messer dabei hatte. Gnädigerweise holte mir der Bauer ein Messer aus seinem Haus und gab es mir unter dem Gelächter beider Mannsbilder. In dem Augenblick wusste ich, dass ich bei nächster Gelegenheit mir ein korsisches Messer besorgen werde. Na dann, mit der ersten kostbaren Kostprobe spürte man förmlich, wie die Reinheit der Natur in einem einzigen Bissen landete. Der Käse hatte eine wunderbar feste Konsistenz, ein intensives Aroma und eine subtile Würze, die an die wilden Kräuter der korsischen Bergwiesen erinnerte. Für mich, der ich schon viele Käsesorten probiert hatte, war dies ohne Zweifel der beste Käse, den ich je kosten durfte – ein Beweis für die Kunstfertigkeit und das tiefe Wissen, das in dieser ländlichen Kultur verankert ist.

Neben den kulinarischen Genüssen ging unser Besuch weit darüber hinaus. Wir erfuhren von dem alten Ziegenbauer, dass sein Leben von kleinen, aber bedeutsamen Ritualen geformt wurde. Jeden Tag begann er mit der gleichen Demut und Dankbarkeit, die ihm über die Jahrzehnte hinweg eine tiefe Weisheit verliehen hatte. Er erzählte uns von den Herausforderungen, die das Leben in den Bergen mit sich bringt, von den unberechenbaren Wetterlagen und den harten Wintern, aber auch von den Freuden, die darin lagen, im Einklang mit der Natur zu leben. Dabei schwang immer mit, wie stolz er darauf war, ein einfacher Ziegenbauer zu sein, der seine Familie und die Traditionen seiner Vorfahren hochhielt. Es war diese authentische Lebensphilosophie, die uns tief berührte und uns daran erinnerte, dass es im Leben oft auf die einfachen Dinge ankommt – die Freude an der Natur, das Miteinander und das Wahrnehmen des Augenblicks.

Während wir dort saßen, von der warmen Morgensonne umhüllt und umgeben von den friedlichen Klängen der Natur, sprachen mein Freund Anick und der Bauer Vincent über die Veränderungen in der modernen Welt. Der alte Ziegenbauer betonte, dass gerade in Zeiten, in denen viele Menschen den schnellen Fortschritt und den ständigen Wandel suchen, es von unschätzbarem Wert sei, den Blick für das Wesentliche nicht zu verlieren. Er erklärte, dass das Leben auf Korsika, trotz der modernen Einflüsse, seinen festen Grundpfeiler in der Tradition behalten habe. Diese Erkenntnis überzeugte uns: Die alten Korsen bewahren nicht nur kulturelles Erbe, sondern leben es Tag für Tag – sei es in der liebevollen Pflege ihrer Tiere, in der Zubereitung ihres unvergleichlichen Käses oder im einfachen Miteinander auf den stillen Bergpfaden.

Die Begegnung mit diesem 80-jährigen Ziegenbauern war wie ein Fenster in eine andere Welt, die uns lehrte, was es bedeutet, im Einklang mit der Natur zu leben. Hier zählt nicht der materielle Wohlstand, sondern die Beziehung zu den eigenen Wurzeln und die Schlichtheit des Alltags. Die frei herumlaufenden Ziegen, das ehrliche Lächeln des alten Mannes und der unvergleichliche Geschmack seines Käses – all diese Eindrücke haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Es wurde mir klar, dass die wahre Schönheit Korsikas in seinen Menschen liegt: in ihrem unerschütterlichen Glauben an Tradition, im Stolz auf die eigene Herkunft und in der Fähigkeit, das Leben in all seinen Facetten zu genießen.

Bemerkung: Korsika ist ein Naturparadies mit einer enormen biologischen Vielfalt. Es liegt an Dir, Deinen Urlaub so zu gestalten, dass dieses Paradies auch für kommende Generationen erhalten bleibt. Wenn Du Deine Schritte überlegt setzt, Müll vermeidest und örtliche Regelungen achtest, wirst Du einen unvergesslichen Aufenthalt erleben – und dabei zum Schutz der Insel beitragen. Als alter Korsikakenner kann ich Dir nur ans Herz legen: Nimm Dir die Zeit, mit Respekt und Aufmerksamkeit auf die Natur zu blicken. Denn nur so kannst Du die wilde Schönheit Korsikas wirklich begreifen und etwas zurückgeben, um sie für lange Zeit zu bewahren.